logo caritas

Auf diese entscheidende, grundsätzliche Frage suchte Prof. em. Dr. Martin Ebner Antworten im Neuen Testament. Die KAB Ortsverbände im Markt Werneck hatten den Theologen und emeritierten Professor für die Exegese (Auslegung von Texten) des Neuen Testaments zum Vortrag ins Pfarrzentrum Werneck eingeladen.

In einer Zeit, in der sich die Kirche in einer tiefen Krise befindet, ging der Referent, mit Hilfe der Urdokumente des Christentums, den Schriften des neuen Testaments, der Frage nach: Braucht die katholische Kirche überhaupt Priester, die als „eigener Stand“ in der Kirche eine zentrale Stellung einnehmen? Oder steht am Beginn des Christentums nicht ein anderes Modell von Gemeinde und Kirche, auf das wir uns jetzt wieder besinnen sollten? Diese Frage, so Professor Ebner, geht über die Frage nach den Zulassungsbedingungen zum Priesteramt hinaus, indem sie danach fragt, ob der Priestermangel nicht ein “Zeichen der Zeit“ darstellt, das uns sagt: Gottes Weg mit dieser Kirche kann und muss auch ohne Priester gehen.

Der Priester als Kultmanager - kein Modell für das Christentum
Die Priester der antiken Welt waren Kultmanager und Handwerker des Opferrituals. Sie waren dafür verantwortlich, Tieropfer darzubringen, um die Götter versöhnlich zu stimmen. Das galt auch für die Priesterfamilien des Jerusalemer Tempels. Sie brachten im Auftrag des Volkes die Opfer zur Sündenvergebung dar und wurden so exklusive Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Als Angehörige des Priesterstandes hatten sie Zugang zum Heiligtum. Je höher der Rang, umso mehr durften sie sich Gott nähern. Für die Tempelliturgie galt: Du bist, wo du stehen darfst. Das bedeutet aber auch den Ausschluss bzw. die Distanz von ganzen Gruppen zum heiligen Geschehen und damit zu Gott. Im Tempel wurde die damalige Gesellschaftsordnung sichtbar: Priester standen über den Nicht-Priestern, Männer über den Frauen und Juden über den Heiden.
Die Jesusgläubigen gingen andere Wege: Durch die Taufe werden alle Kategorisierungen und Hierarchien überwunden. Durch die Taufe sind alle gleich, egal welcher Herkunft, welchen Standes und welchen Geschlechts. Darin steckt eine revolutionäre Kraft. Alle Gläubigen repräsentieren Christus in gleicher Weise und bilden gemeinsam eine heilige Priesterschaft.

Die Demokratisierung der Sündenvergebung
„JESUS ist für unsere Sünden gestorben!“ Dieser zentrale Glaubenssatz des frühen Christentums entstand unmittelbar im Gegenüber zu den Opferriten des Tempels.
Die Theologie des Priesterstandes am Jerusalemer Tempel beruhte darauf, dass die Vergebung der Sünden oder besser ihre Straffreiheit vor Gott durch ein korrekt vollzogenes Sühnopfer erwirkt werden konnte. Dazu wurde durch den Priester das Blut, also das Leben eines Opfertieres vergossen, um Gott versöhnlich zu stimmen. Dazu mussten die sündigen Menschen das Opfertier stiften und den Priestern eine entsprechende Entlohnung zukommen lassen.
Das frühe Christentum bricht mit diesem System radikal: Der Tod Jesu bewirkt für jene, die an ihn glauben, die Vergebung der Sünden ohne finanziellen Aufwand, ohne Tempel, ohne Priester. Im Tod Jesu ist die Versöhnung mit Gott allumfassend und wirkungsvoll geschehen, denn Jesus selber ist der Ort, an dem diese Versöhnung geschieht (die Sühneplatte, Röm 3,25) und gleichzeitig der „ewige Hohepriester“, der diese Versöhnung ein für allemal vollzieht (Hebräerbrief). Und die Menschen, die an ihn glauben, sind durch den Glauben und die Taufe in dieses Versöhnungsgeschehen hineingenommen. Vergebung der Sünden geschieht also durch den Glauben an Jesus, der in der Nachfolge und der Umkehr sichtbar wird.

JESU Kritik an Priestern und Tempel
Diese spirituelle Selbstermächtigung der Christinnen und Christen und ihre Emanzipation vom priesterlichen Tempelkult knüpft an Jesu Lehre und Praxis selber an. Jesus spricht Menschen die Vergebung der Sünden zu, obwohl er selber gerade keinen priesterlichen Stammbaum besitzt. Er kritisiert die Priester scharf dafür, dass sie den eigentlichen Kern der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, nämlich die Orientierung an der Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes, vernachlässigen. Am deutlichsten wird dies im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, wo ein Ungläubiger vorbildlich handelt, während die Glaubensprofis unbarmherzig an dem Opfer vorüber gehen. Und Jesus kritisiert auch scharf den Tempelkult, weswegen er zum Tode verurteilt wird.
Die Christinnen und Christen stellen dem steinernen Tempel und dem damit verbundenen System einen neuen geistgewirkten Tempel entgegen, der aus lebendigen Tempelsteinen, den Gläubigen besteht und sich um Jesus als Allerheiligstes herum aufbaut. Dieser Tempel lebt in den Herzen der Menschen und in ihrem Handeln in der Nachfolge.

Warum wir dann doch Kultpriester haben
Bis zum Anfang des 3. Jahrhunderts kannte das Christentum keinen Stand der Priester als Kult- und Opfermanager. Die Aufgaben in den Gemeinden wurden von denen übernommen, die dafür geeignet waren und die sich dafür engagieren wollten. Das konnten Frauen ebenso sein wie Männer, das waren Juden und „Heiden“, und in der Regel waren sie verheiratet. Am Sonntag traf man sich zum gemeinsamen Mahl in Erinnerung an Jesus.
Ab Anfang des 3. Jahrhunderts änderte sich das Bild: In den wachsenden Gemeinden wollten einige Gemeindeleiter sich ganz auf ihre liturgische Tätigkeit konzentrieren können. Sie bezeichneten sich im Rückgriff auf die antike Umwelt und auf das Erste Testament als Priester und forderten, von den Gemeinden besoldet zu werden. Plötzlich wird aus dem Mahl ein Opfer und aus dem Tisch ein Altar. Der Stand des Klerus wird geboren als Gegenüber zu den anderen Getauften. Aus dem Tempel aus lebendigen Steinen wird wieder ein steinerner Tempel mit den entsprechenden Platzordnungen.

Zurück in die Zukunft
Martin Ebner machte denen, die sich nach einer lebendigen Kirche sehnen, in seinem verständlichen, sehr interessanten Vortrag Mut zu einer Veränderung der Kirche in eine Richtung, die sich an den Ursprüngen orientiert:
eine Kirche, in der die Charismen der Gläubigen wert geschätzt werden,
eine Kirche, in der ständisches Denken und hierarchische Einteilung überwunden sind
eine Kirche, die aus den lebendigen Steinen der Gläubigen in all ihrer Vielfalt lebt.

 

Das Buch "Braucht die katholische Kirche Priester?" von Martin Ebner kann in der Bücherei Werneck entliehen werden.

­