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Der eklatante Anstieg von Covid-19 Infektionen und die Erkrankung hunderter osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen in der fleischverarbeitenden Industrie hat im ganzen Land Empörung ausgelöst.

 Zu Recht: Der Ausbruch von Corona in mehreren Schlachthöfen in Deutschland wirft ein Schlaglicht auf die Probleme der Fleischindustrie. Sie funktioniert nach dem Prinzip: Massenproduktion von Fleisch zu Dumpingpreisen dank Dumpingbedingungen. Unhaltbare, teils menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen durch unseriöse Werkverträge, überteuerte, unhygienische (Sammel-)Unterkünfte und Armutslöhne, bei denen der Mindestlohn durch Tricks unterschritten wird, sind Ursache für zutiefst unmenschliche Zustände – nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie. Unzählige Frauen und Männer werden seit Jahren in Knebelverträgen physisch und psychisch verschlissen und regelrecht „ausgeschlachtet“. Sie sind es nun, die mangels Gesundheits- und Rechtsschutz und aufgrund ihrer Wohn- und Arbeitsbedingungen dem Virus ausgesetzt sind, in Massen erkranken und um ihre Gesundheit und in manchen Fällen sogar um ihr Leben ringen.

Als Betriebsseelsorger und als Katholische Arbeitnehmerbewegung können und werden wir die erneute Eskalation der Situation von Arbeitsmigranten und -migrantinnen in Deutschland nicht hinnehmen: Was in der Fleischindustrie geschieht, ist ein gesellschaftlicher Skandal. Seit langem. Covid-19 zeigt lediglich wie unter einem Brennglas das, was vorher bereits unerhörte Normalität war.

Das Einfallstor für Ausbeutung und Ausnutzung von Arbeitskräften ist die legale Möglichkeit der Werkvertragsvergabe an Subunternehmen: Wirtschaftliche Haftung und soziale Verantwortung wird an „Dritte“, an Dienstleister, abgegeben. Subunternehmer heuern Menschen zu Niedrig- und Armutslöhnen an, oft Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus Osteuropa, und zwängen sie in unterschiedlichste Abhängigkeiten. Sogenannte „Wohn-Werksverträge“ kombinieren Lohndumping mit Wuchermieten für schäbige winzige Unterkünfte. Diese Verträge schaffen einen Teufelskreis von Abhängigkeiten und Ausbeutung und grenzen an „moderne Sklaverei“, die ethisch und menschlich inakzeptabel ist.

Seit Jahren mahnen wir daher gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG und Beratungsstellen des DGB-Projekts „Faire Mobilität“ diese Missstände im System an. Zu Recht protestieren in diesen Tagen auch Bürger wie z.B. Prälat Peter Kossen mit seinem Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit e.V.“ in Coesfeld lautstark gegen die menschenverachtenden und ausbeuterischen Strukturen in der Fleischindustrie vor Ort.

Es wird höchste Zeit, dass das Unerhörte endlich Gehör findet.

Die angekündigten Verbesserungen beim Gesundheits- und Arbeitsschutz und deren strengere Kontrollen durch (personell gut ausgestattete) Behörden sind ein erster, notwendiger Schritt. Hilfreich ist dabei eine konsequente Umsetzung der Generalunternehmerhaftung im Arbeitsschutz, bei der Unternehmen in die Haftung für Rechtsverstöße ihrer Subunternehmen eintreten müssen. Darüber hinaus kann ein Verbandsklagerecht die Durchsetzung der Rechte der Beschäftigten erleichtern. Die Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrats für alle Beschäftigten am Standort erleichtert die Durchsetzung und Einhaltung grundlegender Arbeitsbedingungen.

Es ist dringend notwendig, die unterschiedlichen Kontrollbehörden in sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen und in den Belangen von Arbeits- und Gesundheitsschutz zu einer schlagkräftigen Arbeitsinspektion weiter zu entwickeln. Doch es braucht eine grundlegende politische Intervention.

Als Betriebsseelsorger und Katholische Arbeitnehmer-Bewegung fordern wir die Verantwortlichen von Politik und Wirtschaft auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbeutung von Arbeitsmigranten und -migrantinnen strukturell zu unterbinden und für die Zukunft zu verhindern. Wir wollen das Aushöhlen des Arbeitsrechts beenden und Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten für menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen klar benennen. Klare rechtliche Zuständigkeiten und eine klare Zuordnung der Verantwortung der Erstauftraggeber sind Voraussetzung dafür, arbeits- und sozialrechtliche Verstöße ahnden und Ausbeutung auf Kosten Schwächerer unterbinden zu können.

Deshalb muss es für die Kerntätigkeiten ein Verbot der Vergabe von Werkverträgen an Subunternehmen geben.

Die Unterkünfte, die durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden, müssen ausreichend groß sein und die Chance bieten, die Hygiene- und Gesundheitsstandards einzuhalten. Die Miete für die Unterkünfte darf dabei die ortsüblichen Mietpreise nicht überschreiten. Unsere uneingeschränkte Solidarität gilt zuerst und vor allem den von Ausbeutung und Krankheit betroffenen Kollegen und Kolleginnen in der Fleischindustrie. Ihnen sind wir aus ethischer und sozialer Verantwortung in unserem christlichen Glauben zutiefst verpflichtet. Wir brauchen aber über die akuten Probleme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes hinaus eine grundlegende Veränderung in der Fleischindustrie und der landwirtschaftlichen Produktion.

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