Die KAB Ortsverbände im Markt Werneck luden am Sonntag, 8. Oktober zum Gottesdienst zum Welttag für menschenwürdige Arbeit in Vasbühl ein.
Menschenwürdige Arbeit – ist das heute in Deutschland überhaupt noch ein Thema?

 

Das Thema „Menschenwürdige Arbeit“ hat sich in diesem Jahr, wie Präses Peter Hartlaub in seiner Predigt deutlich machte, in einem Ort verdichtet - Gräfenhausen:

Gräfenhausen – Der Lohn, den Ihr Euren Arbeitern vorenthaltet, schreit zum Himmel.

Gräfenhausen – das ist eine Raststätte an der A5 zwischen Darmstadt und Frankfurt, ungefähr 150 km oder anderthalb Stunden Fahrt von uns entfernt.

Gräfenhausen – das war in diesem Jahr zwei Mal der Ort, an dem LKW-Fahrer um menschenwürdige Arbeit gekämpft haben: um einen gerechten Lohn und um menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Im März dieses Jahres stoppte dort ein Fahrer der polnischen Spedition MAZUR seinen Truck, weil er die Schnauze voll hatte. Er wollte nach mehreren Monaten endlich den Lohn für seine Arbeit erhalten, den vollen Lohn. Und er wollte endlich wieder einmal heim zu seiner Familie.

Das System der Firma MAZUR, die ihre Aufträge von vielen renommierten deutschen Speditionen und Betrieben erhält, beruht auf der Ausbeutung von Fahrern zum Beispiel aus Usbekistan, Georgien, der Ukraine, der Türkei. Diese Fahrer sind bei MAZUR nicht angestellt, sondern MAZUR vermittelt nur die Aufträge an die Fahrer weiter und stellt ihnen ein Fahrzeug. Dann fahren die Kollegen und fahren und fahren und fahren …

Sie fahren quer durch Westeuropa.

Sie fahren und leben am Wochenende in ihrem LKW. Weil so Fracht und Fahrzeug ja auch gleich bewacht werden. Auch wenn das EU-Recht vorsieht, dass die Fahrer ihre Ruhezeit außerhalb des LKWs verbringen müssen und dafür auch bezahlt werden müssen.

Gräfenhausen – Der Lohn, den Ihr Euren Arbeitern vorenthaltet, schreit zum Himmel.

Sie fahren monatelang durch Westeuropa, viele ein halbes Jahr und länger, manche sogar mehr als ein Jahr, ohne dass sie ihre Familie sehen können. Dabei soll das Unternehmen von Rechts wegen eigentlich sicher stellen, dass der Fahrer alle vier Wochen nach Hause fahren kann.

Sie fahren – und sie erhalten immer gerade so viel Geld überwiesen, dass sie nicht verhungern unterwegs, dass sie weiterfahren können. Für die streikenden Fahrer hat die Gewerkschaft der Transportarbeiter auf Basis der Fahrerkarte einen Stundenlohn von 1,45 € errechnet. Zustehen würde ihnen nach dem Gesetz der Mindest­lohn des Einsatzlandes. Das wären ca. 2.400 €. Bei MAZUR müsste der Kollege dafür jeden Monat 69 Tage ununterbrochen, 24 Stunden lang fahren.

Und wenn dann ein Fahrer mit dem LKW nach Monaten wieder einmal nach Polen kommt, um seinen Lohn abzuholen und endlich wieder einmal Frau und Kinder daheim sehen zu können, dann erhält er oft nur die Hälfte und wird dann wieder losgeschickt mit dem Versprechen, beim nächsten Mal dann alles zu erhalten.

Und sie fahren und sie fahren und sie fahren …

Gräfenhausen – Der Lohn, den Ihr Euren Arbeitern vorenthaltet, schreit zum Himmel.

Im März schlossen sich dem Streik schnell 60 weitere MAZUR-Fahrer an. Nach Wochen der Auseinander­setzung, in denen Herr Mazur eines Tages mit einem schwer bewaffneten Schlägertrupp auf der Raststätte erschien, um die LKWs und ihre Fracht zurück zu erobern, wurden schließlich im April 300.000 € ausstehende Löhne bezahlt.

Ende Juli, Anfang August fanden sich erneut Fahrer in Gräfenhausen ein, um für ihr Geld zu streiken. Denn MAZUR machte einfach so weiter wie gewohnt. Eine Untersuchung der polnischen Behörden hatte ergeben, dass er den Fahrern für die Stunden, die er abrechnete, den korrekten Lohn auszahlte. Aber er rechnete eben auffällig wenige Stunden ab. Und die digitalen Dateien der Fahrerkarte wurden den Behörden so beschädigt übergeben, dass sie nicht nutzbar waren.

Nachdem sich MAZUR beim zweiten Streik gar nicht bewegte, traten am 19. September 30 LKW-Fahrer verzweifelt in den Hungerstreik. Nach einer Woche musste dieser abgebrochen werden, um das Leben der Fahrer nicht zu gefährden.

Am 02. Oktober wurden dann endlich ca. 500.000 € an die Fahrer ausbezahlt – nicht von MAZUR selber, sondern von Firmen aus der Auftrags- und Lieferkette, die ihren Ruf beschädigt sahen.

Gräfenhausen – Der Lohn, den Ihr Euren Arbeitern vorenthaltet, schreit zum Himmel.

Hoffentlich werden einige Fahrer jetzt ihre Familien wieder einmal sehen. Aber das Rad der Ausbeutung wird sich weiter drehen – hoffentlich nicht mehr von MAZUR gedreht. Aber andere Firmen arbeiten mit den selben Mitteln.

Gräfenhausen - und was geht das uns an?
MAZUR fährt für Bauhaus, OBI, IKEA, VW, Red Bull …

Wie wäre es, wenn wir zum Beispiel sagten: Ich kaufe solange nicht bei Euch ein, bis ihr in Eurer Lieferkette menschenwürdige Arbeit sicher stellt?

Gräfenhausen – Der Lohn, den Ihr Euren Arbeitern vorenthaltet, schreit zum Himmel."

(Predigt: Peter Hartlaub)

Herzliche Dank der Egenhäuser Band „Stand up“ für die musikalisch Gestaltung des Gottesdienstes.